Ob Sie den ganzen Tag auf den Beinen sind und sich bewegen oder am Schreibtisch vor dem Computer sitzen – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Ihrem Körper keine der beiden Optionen gefällt. Woran Sie das erkennen? Daran, dass Sie ständig Schmerzen oder kleine Wehwehchen haben. Statt jedoch eine Sportmassage zu buchen, gibt es einen neuen Ansatz: Das Dehnen Ihrer Faszien ist die Antwort auf all Ihre Unpässlichkeiten.
Faszien sind das Bindegewebe, das jedes Organ, jeden Knochen, Muskel und jede Nervenfaser in Ihrem Körper umgibt, und das dafür sorgt, dass alles an Ort und Stelle bleibt. Bis vor Kurzem hat man von diesem Gewebe jedoch nicht viel gehört. Das kommt daher, dass Anspannungen oder Schmerzen in der Regel den Muskeln oder Gelenken zugeschrieben werden, obwohl es sehr wohl auch die Faszien sein könnten. Die Faszien sollen sich dehnen, wenn Sie sich bewegen. Wenn Sie selbst jedoch nicht für Dehnung und Bewegung sorgen, verkleben die Faszien und verspannen sich. Dadurch wird Ihre Beweglichkeit eingeschränkt, und gleichzeitig leiden Sie unter Verknotungen und schmerzenden Stellen. Das ist auch der Grund, warum Ihre Schmerzen wohlmöglich immer wieder zurückkommen, auch nachdem Sie sich mehrere Massagen gegönnt haben.
Eine Möglichkeit, Ihre Faszien glücklich zu machen, ist Dehnen. Menschen praktizieren dies bei der Thai-Massage seit Jahrhunderten. Hierbei wird allmählich der gesamte Körper gedehnt, im Gegensatz zu den westlichen Sportmassagen, bei denen der Masseur sich nur auf bestimmte Bereiche des Körpers oder auf bestimmte Muskelgruppen konzentriert. „Die Vorteile der Arbeit mit den Faszien sind, dass Sie niemals nur auf den Schmerz oder den schmerzenden Bereich eingehen“, erläutert Suzanne Wylde, Trainerin für Stretching, alternative Therapien und Autorin von Das neue Faszien-Stretching: Die Moving-Stretch-Methode, um Verspannungen zu lösen, beweglich zu bleiben und die Körperhaltung zu verbessern. „Wir betrachten den Körper immer als komplettes System, einen geschlossenen Kreislauf, in dem es viele Kettenreaktionen und Beziehungen gibt, die sich ständig verändern und gegenseitig beeinflussen. Menschen, die mit Faszien arbeiten, sehen Muster und werden versuchen, zur eigentlichen Ursache vorzudringen, statt notdürftig auszubessern.“
DIE METHODE
Es gibt unterschiedliche Arten der Dehntherapie, die am häufigsten verwendet ist die Fascial Stretch Therapy (FST), bei der unterstütztes Dehnen verwendet wird. Dafür legen Sie sich hin, während der Therapeut mit Widerstand, Druck- und Zugbewegungen, dem Wiegen von Gliedmaßen und dem Kreisen von Gelenken für eine Entlastung und Freisetzung der Faszien sorgt und die Mobilität und Flexibilität verbessert.
Suzanne verwendet eine Art des Dehnens, bei der kontinuierlicher Widerstand bevorzugt wird, das Dehnen erfolgt also während der Bewegung. „Dazu gehören fließende Bewegungen mit einer Anspannung in den Muskeln, ähnlich wie beim Gähnen – diese Anspannung hilft, die Faszien zu aktivieren und wieder instand zu setzen. Gleichzeitig können wir Verklebungen beheben und den Transport von Flüssigkeiten fördern, um unsere Faszien und den Körper stark und gesund zu halten“, erläutert sie. „Manchmal nenne ich es „Massage von innen“, denn wir bewegen Strukturen innerhalb des Körpers. Das unterscheidet die Behandlung von einer traditionellen Massage, bei der Druck von außen nach innen angewendet wird.“
DIE VORTEILE
Da es sich um eine relativ neue Methode handelt, gibt es nur wenige Studien, allerdings wird in dieser Richtung immer mehr geforscht und getestet. Bei einer Studie, in der es um die Vorteile der thailändischen Fußmassage und des Dehnens bei Menschen mit peripherer Neuropathie (einer Nervenerkrankung) ging, wurde herausgefunden, dass es mit dem Gleichgewicht half. Der Grund dafür könnte sein, dass diese Arten von Bewegung die Blutzirkulation in diesen Geweben verbessert, was wiederum gut für das Gleichgewicht ist.
Bei einer weiteren Studie zu FST wurde herausgefunden, dass nach vier Wochen mit jeweils zwei Behandlungen pro Woche der Unterkörper der Teilnehmer um 15 % stärker war, und dass ihre Beweglichkeit im Ober- und Unterkörper zugenommen hatte. Und auch das Gleichgewicht der Teilnehmer hatte sich wieder verbessert.
Suzanne dokumentiert in ihrem Buch, wie man durch Dehnen stärker werden kann, da es die Anzahl der Zellen erhöht, die Muskeln bilden. Und ältere Menschen konnten nach vier Wochen Dehnen ihren Gang so sehr verbessern, dass sie wie junge Menschen gingen. „Es ist ganz eindeutig, dass die Vorteile des Dehnens weit über einfache Flexibilität hinausgehen“, schlussfolgert sie. „Meine Kunden scheinen eine sehr viel bessere Haltung und mehr Energie zu haben, darüber hinaus fühlen sie sich mit sich selbst wohler. Sie werden besser beim Sport, und einige haben berichtet, dass sie besser schlafen und mehr Appetit haben.“
UND AUCH FÜR DAS GESICHT IST ES GUT
Ein weiterer neuer Trend ist Faszientraining für das Gesicht. Die Behandlung liegt in der Mitte zwischen einer Gesichtsmassage und einem Workout für das Gesicht und beinhaltet myofasziale Bewegungen, um das Gesichtsgewebe an seinen anatomisch richtigen Platz zu bewegen. Dabei werden die Verbindungen und Bänder gestärkt. Das Ergebnis? Strahlende Haut und ein Lifting-Effekt, von dem einige sagen, dass er sogar die Form des Gesichts verändert. Laut Suzanne müssen Sie allerdings noch nicht einmal das Gesicht berühren, wenn Sie strahlender Haut haben möchten: „Das Dehnen der größeren Bereiche und Muskeln des Körpers ist auch gut für das Gesicht, denn es sind diese angespannten Bereiche, die unser Gesicht nach unten ziehen und uns älter aussehen lassen. Wenn Sie Ihre Oberschenkel- und Pomuskeln dehnen sowie den Vorder- und Hinterbereich Ihres Oberkörpers werden Sie schnell Veränderungen in der Vitalität und der Form Ihres Gesichts feststellen.“
WAS SIE TUN UND WAS SIE VERMEIDEN SOLLTEN
Sie sollten sich professionelle Unterstützung holen, besonders, wenn Sie unter chronischen oder wiederkehrenden Schmerzen leiden. Das heißt jedoch nicht, dass Sie sich nicht selbst zu Hause ein wenig dehnen können. Suzanne rät zu sanften, fließenden Bewegungen; arbeiten Sie mit Ihrem Körper, nicht gegen ihn, und führen Sie die Dehnbewegungen vorsichtig durch. Das Dehnen darf NICHT wehtun, und Sie sollten ihren natürlichen Bewegungsradius nicht übertreten oder über einen zu langen Zeitraum zu weit dehnen. Auch ruckhaftes Vor- und Zurückbewegen ist nicht ratsam.
Es gibt weder eine richtige noch eine falsche Zeit zum Dehnen, am Morgen jedoch sind Ihre Bandscheiben verletzungsanfälliger, daher sollten Sie zunächst ein wenig gehen. Wenn Sie Sport treiben oder trainieren, sollten Sie in den 40 Minuten davor keine Dehnübungen durchführen, da dies laut Suzanne Ihre Elastizität, Stärke und Stabilität kurzfristig vermindern kann.
SCHNELLE HILFE
Bei jedem Schmerz rät Suzanne dazu, den entgegengesetzten Bereich Ihres Körpers zu denen, um ihn zu lindern. Wenn Sie also Rückenschmerzen haben, öffnen Sie die Vorderseite Ihres Körpers, und wenn Sie Schulterschmerzen haben, dehnen Sie Ihre Beine – dadurch erhält Ihr Körper sein Gleichgewicht zurück. „Wenn Sie sich vor Ihrem Computer zusammenkauern, machen Sie Dehnübungen, die Sie öffnen, die sie nach oben blicken lassen, und strecken Sie Ihre Arme nach oben und nach hinten. Wenn Sie einen Job haben, bei dem Sie sich oft strecken müssen, versuchen Sie es mit der Yoga-Übung Stellung des Kindes.“ Oder wenn Sie nach einer Routine suchen, die Sie auf den vor Ihnen liegenden Tag vorbereitet, probieren Sie die von Suzanne empfohlenen Super-Dehnübungen unten aus. Sie werden sich in wenigen Minuten geschmeidiger fühlen …
1. Vorbeugen mit gestreckten Beinen
Stellen Sie einen Fuß auf eine kleine Mauer, Stufe oder einen Stuhl und beugen Sie Ihre Knie leicht. Halten Sie Ihren Fuß angezogen und beugen Sie sich aus der Hüfte nach vorne, um die Rückseite des Beins zu dehnen. Achten Sie darauf, Ihr Gewicht beim Vorbeugen nicht nach vorne zu verlagern, sondern lassen Sie es auf dem stehenden Bein.
2. Im Schneidersitz nach vorne beugen
Setzen Sie sich in den Schneidersitz, drücken Sie die Füße und Knie Richtung Boden und bauen Sie mit den Händen unter den Knien ein wenig Gegendruck auf (heben Sie sie aber nicht hoch). Halten Sie diesen Widerstand, während Sie sich nach vorne beugen und sich so weit wie möglich dehnen. Wechseln Sie nach einigen Wiederholungen das Bein, das oben liegt.
3. Dehnen von Schultern und Brust über dem Kopf
Nehmen Sie sich einen Yoga-Gurt, Gürtel oder ein Handtuch, und halten Sie ihn/es fest mit beiden Händen über den Kopf. Ihre Arme formen dabei ein „V“. Ziehen Sie die Hände kontinuierlich auseinander, um Spannung aufzubauen, und bewegen Sie sie dabei sanft nach hinten; die Ellbogen bleiben durchgedrückt. Wenn Sie so weit hinten sind, wie es für Sie noch bequem ist, kehren Sie wieder zur Ausgangsposition zurück, um eine Wiederholung abzuschließen. Wenn Sie das Ende der Dehnung erreichen, kehren Sie zur Ausgangsposition zurück und fangen Sie wieder von vorne an. Sie können sich aufwärmen, indem Sie Ihre Muskeln anfangs weniger stark anspannen und die Spannung allmählich weiter aufbauen.